Etwa 80 Prozent der Frauen in Deutschland werden im Laufe ihres Lebens mindestens einmal Mutter. Nur 20 Prozent bleiben kinderlos (Statistisches Bundesamt 2024). Trotz fallender Geburtenraten (Statistisches Bundesamt 2024), ist Mutterschaft kein Randphänomen der Gesellschaft, sondern die Regel. Darüber hinaus wird Mutterschaft komplexer und stellt Frauen vor immer größere Herausforderungen bei der Erziehung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ihrer finanziellen Situation sowie der körperlichen und mentalen Gesundheit (Eickhorst & Matzner 2023).
Knapp 35 Prozent der Ehen werden zudem geschieden (Statista 2023). Etwa die Hälfte der geschiedenen Paare hat minderjährige Kinder, die versorgt werden müssen (destatis 2024). Dies übernimmt in 8 von 10 Fällen die Mutter (Bertelsmann Stiftung 2024).
Mütter erfahren in nahezu allen relevanten Lebensbereichen Überbelastung und Diskriminierung. Dies hat für sie berufliche, finanzielle und gesundheitliche Auswirkungen bis ins hohe Alter.
Soziale Arbeit als Beruf
Um sich dem Themenfeld der „Sozialen Arbeit mit Müttern“ anzunähern, muss erst erläutert werden, was mit Sozialer Arbeit als Profession gemeint ist und welche Zielvorgaben, Funktionen und Berufsfelder sich in ihr vereinen.
Was ist Soziale Arbeit und was machen Menschen, die in der Sozialen Arbeit tätig sind?
Eine mögliche Definition liefert der „Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit e. V.“:
Soziale Arbeit als Beruf fördert den sozialen Wandel und die Lösung von Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen und sie befähigt Menschen, in freier Entscheidung ihr Leben besser zu gestalten. Gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse über menschliches Verhalten und soziale Systeme greift Soziale Arbeit dort ein, wo Menschen mit ihrer Umwelt in Interaktion treten. Grundlagen der Sozialen Arbeit sind die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit (DBSH 2009).
Ergänzend verstehen Otto und Thiersch (2015, S. 5) „Soziale Arbeit als integriertes Konzept von Sozialpädagogik und Sozialarbeit in der Stabilisierung und kritischen / reflexiven Fortschreibung ihrer Traditionen, Erfahrungen und Erkenntnisse, als sozialwissenschaftlich orientiert, gesellschafts- und sozialpolitisch engagiert und interdisziplinär offen.“
Wie in der Definition von Otto und Thiersch (2015) angedeutet, geht das Berufsfeld „Soziale Arbeit“ historisch aus den beiden Professionslinien Sozialpädagogik und Sozialarbeit hervor und vereint diese in einem Begriff. Während Sozialpädagogik die Entwicklungslinie der Kinder- und Jugendfürsorge meint, konzentrierte sich die Sozialarbeit auf erwachsene Adressat:innen (Schilling 2015).
Ziele sozialpädagogischer und sozialarbeiterischer Bemühungen nach Schilling und Klus (2015) sind die Hilfe zur Selbstfindung und Selbsthilfe sowie die Entfaltung und Förderung der Persönlichkeit auf individueller Ebene. Genauso steht die Verbesserung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und zunehmend ein europäisch und weltgesellschaftlich orientierter Blick auf die Profession selbst im Fokus.
Soziale Arbeit wird auch als „Human Rights Profession“ definiert (Schilling & Klus 2015, S. 172 – 173) und dient in einem Sozialstaat, neben gesellschaftlichen Unterstützungssystemen, dazu, Inklusion zu fördern und soziale Ungleichheit abzufedern oder zu vermeiden (Schilling & Klus 2015, S. 155, Abb. 20).
Die Soziale Arbeit wird nach Bieker und Floerecke (2011) in sieben große Arbeitsfelder unterteilt:
- Kindheit, Jugend, Familie,
- Arbeitsmarktintegration,
- Wohnen,
- Migration,
- Alter und Pflegebedürftigkeit,
- Gesundheit sowie
- abweichendes Verhalten und Resozialisierung (Bieker & Floerecke 2011, S. 7).
Unter die Kategorie „Kindheit, Jugend und Familie“ fallen die frühkindliche Bildung und Erziehung, die offene Kinder- und Jugendarbeit, die Soziale Arbeit auf der Straße bzw. die mobile Jugendarbeit, die Schulsozialarbeit, der Allgemeine Dienst (ASD), ambulante und stationäre Erziehungshilfen, die Trennungs- und Scheidungsberatung sowie die Familiengerichtshilfe, die soziale Arbeit mit gewaltbereiten Jugendlichen und der Verfahrensbeistand nach § 158 FamFG (Anwalt des Kindes) (Bieker & Floerecke 2011, S. 45 – 160).
Nach Bieker und Floerecke (2011 S. 175 – 191) gliedert sich die Arbeitsmarktintegration in die Bereiche „Übergang Schule – Beruf: Soziale Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen“ und „Teilhabe am Arbeitsleben: Integration für Menschen mit Behinderung“. Das Deutsche Jugendinstitut e. V. veröffentlichte 2022 allerdings auch den Bericht „Arbeitsmarktintegration von Müttern mit Migrationshintergrund“.
Es stellt sich daher die Frage, ob weitere von Diskriminierung betroffene Zielgruppen Teil arbeitsmarktintegrativer Maßnahmen Sozialer Arbeit sind oder sein sollten. Mögliche Diskriminierungs- merkmale für sich oder in Kombination könnten Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder auch Elternschaft sein. Letzteres wird als Diskriminierungsmerkmal aktuell zumindest diskutiert (proparents, 2024) und im „4 Layers of Diversity“-Modell von Lee Gardenswartz und Anita Rowe auf der äußeren Ebene genannt (Linde & Auferkorte-Michaelis 2018, S. 18).
Diesen Gedankengang bestätigt die aktuellste Auflage des oben zitierten Buches „Träger, Arbeitsfelder und Zielgruppen der Sozialen Arbeit“ (Bieker & Niemeyer 2022). In der neu verfassten Einleitung weisen Bieker und Niemeyer (2022, S. 63) darauf hin, dass die Soziale Marktwirtschaft „ihr Versprechen der Teilhabe am Arbeitsleben für alle nicht erfüllen kann. Heute ist Soziale Arbeit überall präsent, wo Menschen Probleme mit der Integration in das Arbeitsleben haben (langzeiterwerbslose Menschen, Jugendliche, Frauen nach einer längeren Familienphase, Menschen mit Behinderungen).“
Die Entwicklung innerhalb eines gängigen Standardwerkes über mehrere Jahre zeigt wie wandelbar das Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit ist. Der Beruf im sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Bereich passt sich immer an die Problemlagen und Herausforderungen seiner Zeit an.
Im Bereich „Wohnen & Wohnungslosigkeit“ bewegt sich die Soziale Arbeit in den Arbeitsfeldern „Betreutes Wohnen von Menschen mit Behinderung“ und „Ambulante Arbeit mit wohnungslosen Menschen“ (Bieker & Floerecke 2011, S. 207 – 221).
Ein weiteres großes Feld ist die Migration, die sich „mit Migrantenfamilien“ und „Flüchtlingen und Asylsuchenden“ beschäftigt (Bieker & Floerecke 2011 S. 233 – 246).
Aufgrund des demografischen Wandels und einer immer weiter alternden Gesellschaft, dürfte in Zukunft auch der Bereich „Alter und Pflegebedürftigkeit“ in der Sozialen Arbeit verstärkt an Aufmerksamkeit gewinnen (Kühnert & Ignatzi 2019, 15ff) und sich über eine Vielzahl von Bereichen erstrecken (Bieker & Floerecke 2011, S. 243).
Gefolgt vom Fachbereich „Gesundheit“ – hier können Fachkräfte der Sozialen Arbeit in der Gesundheitsförderung, im Hospiz und der Palliative Care oder Psychiatrie tätig werden sowie mit Konsument:innen illegaler Drogen, mit gesundheitlich beeinträchtigten oder behinderten Menschen arbeiten (Bieker & Floerecke 2011, S. 259 – 333).
Als letztes der sieben großen Arbeitsfelder, soll die Arbeit mit Menschen genannt werden, die ein abweichendes Verhalten zeigen und Resozialisierungsmaßnahmen benötigen. Zu nennen sind in diesem Bereich der Sozialen Arbeit die Gerichtshilfe bzw. Jugendgerichtshilfe, die Straffälligenhilfe und der ambulante Strafvollzug (Bieker & Floerecke 2011, S. 373 – 399).
Obwohl nicht jeder Mensch im Laufe seines Lebens als Adressat:in mit sozialpädagogischem oder sozialarbeiterischem Fachpersonal in Berührung kommt, greifen die Tätigkeitsbereiche der Sozialen Arbeit heute in alle Phasen des Lebens und nahezu alle individuelle Lebenssituationen und -bedürfnisse ein. Die Vielfalt der Arbeitsfelder ist enorm, differenziert sich immer weiter aus und kann in ihrer Beschreibung selbstverständlich nie alle Bereiche abdecken (Biecker & Niemeyer 2022, S. 63).
Soziale Arbeit und Mütter
Michael Matzner und Andreas Eickhorst (Hrsg. 2023, S.8) beschreiben Mutterschaft in ihrem Buch Soziale Arbeit mit Müttern „als eine grundlegende Kategorie Sozialer Arbeit“.
Auch im Artikel 6 (4) des Grundgesetzes steht: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.“
Um die 8 Millionen Frauen mit minderjährigen Kindern leben in Deutschland. In ganz unterschiedlichen Familienkonstellationen und Lebensrealitäten. Mütter benötigen oftmals verschiedene Formen von Unterstützung und Förderung. Auch das Kindeswohl steht im Fokus der Sozialen Arbeit und schließt eine elterliche Zusammenarbeit ein (Thiessen 2011, S. 298, zitiert nach Matzner & Eickhorst, 2023, S. 8).
Trotz Unterstützungsleistungen für Mütter in Deutschland seit ca. 1900 (Matzner & Eickhorst 2023, S. 157), ist die Integration von Müttern in den Sozialstaat weitestgehend fehlgeschlagen (Dr. Fehlemann 2004, S. 367, zitiert nach Matzner & Eickhorst 2023). In Bezug auf Frauen mit Kindern, ihre Herausforderungen und Bedürfnisse, herrscht nach wie vor eine „strukturelle Rücksichtslosigkeit“ (Franz Xaver-Kaufmann, 1997), die trotz Gleichstellung der Geschlechter seit dem 20. Jahrhundert nicht aufgehoben werden konnte (Fehlemann 2004, S. 367).
Das betrifft die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familienalltag, aber auch die Müttergesundheit, das hohe Armutsrisiko sowie fehlende Unterstützung im Alltag. Studien zu bestehenden Gender Gaps in Deutschland – Gender Pay Gap (BMFSFJ, S. 3), Gender Time Gap (Rauch & Tophoven 2020, S.113), Gender Care Gap, Gender Health Gap (Robert Koch Institut, S. 7, S.44), Gender Pension Gap uvm. – zeigen, dass Frauen und besonders Mütter erhebliche Benachteiligungen in diesen Bereichen erfahren.
Dass Mütter als eigenständige, in hohem Maße vulnerable Zielgruppe sozialpolitisch und sozialarbeiterisch durchs Raster fallen, kann historisch damit begründet werden, dass sie nie selbst im Zentrum der Fürsorgemaßnahmen standen, sondern immer ihre Reproduktionsfähigkeit. Es ging in den über einhundert Jahren sozialer Arbeit mit Müttern selten darum, sie langfristig als Menschen zu stärken. Motive waren vielmehr eine Steigerung der Geburtenrate und Senkung der Säuglingssterblichkeit aus ökonomischen, politischen und militärischen Gründen (Matzner & Eickhorst 2023, S. 157).
Auch kann beobachtet werden, dass Mütter soziale Hilfsangebote unter Umständen meiden, obwohl sie die Unterstützung dringend benötigen. Einerseits aus Angst, als unfähig angesehen zu werden (Neises, 1975). Andererseits, weil sie sich mit Einrichtungen der Sozialen Arbeit nicht identifizieren können und sich selbst nicht als „Bedürftige im Sinne unterer Schichten ansehen“ (Junker 1968, S. 11, S.19).
Klassische „Mütterangebote“ der Sozialen Arbeit galten der Gesundheitsfürsorge, Müttererholung, Erziehungsberatung, Haus- und Familienpflege sowie der Familienbildung (Matzner & Eickhorst 2023, S. 151 – 154). Familienangebote richten sich heute zumeist an beide Elternteile, werden aber größtenteils von Müttern in Anspruch genommen. Sie fühlen sich eher zuständig, wenn es um ihre Kinder geht.
Väter sind in der Sozialen Arbeit mit Familien eine noch weitestgehend unerschlossene Zielgruppe (Matzner 2005; Matzner 2007), da es die Mütter sind, die in den ersten Lebensmonaten durch intensiven Kontakt eine enge Beziehung zu ihrem Nachwuchs aufbauen (Sroufe 2021). Mütter werden in der Sozialen Arbeit auch als „familiäre Gatekeeper“ bezeichnet (Lohmeier 2023, S. 228).
Hey, ich bin Jana: angehende Sozialarbeiterin und 2-fache Mama. Wenn dich interessiert, was ich sonst noch so mache, dann schau gern hier vorbei.
Hinterlasse einen Kommentar